Auszug aus dem Editorial von SnowActive, April 2024

"Der Schnee schmilzt. Was wird bleiben vom Winter 2023/24? Die grossen Figuren natürlich, etwa Lara-Gut-Behrami, Mathilde Gremaud und Marco Odermatt, die drei Schweizer Gesamtweltcup-Siegerinnen und -Sieger.

Jedermann und jedefrau hat wohl einen persönlichen Moment der Saison, ein Highlight, das vielleicht gar nicht mit einem Triumph verknüpft ist. Meinen Moment der Saison erlebte ich am 17. Februar. Es war Nachmittag, ich sass in meinem Hotelzimmer in Crans-Montana am Schreibtischlein vor dem Laptop. Die Frauen-Abfahrt war vorbei, das Gestürm um die Heim-WM 2027 hielt mich auf Trab. Nun wollte ich aber noch rasch ein paar Bilder der Männer-Abfahrt in Kvitfjell sehen, von der ich erst das Schlussklassement mit Niels Hintermann als Sieger mitbekommen hatte.

Wenig später hing ich Ralph Weber an den Lippen. Ralph hatte tags zuvor den Rücktritt kommuniziert, im Alter von 30 Jahren. Nach seinem 100. und letzten Weltcup-Rennen gab er dem SRF-Journalisten Marc Lüscher im Zielraum ein fünfeinhalbminütiges Interview, das mich berührte. Ich hörte diese vertraute, unverkennbare Stimme (es ist die tiefste in der Geschichte des Weltcups), doch diesmal klang sie ganz anders als sonst.

Ralph ist beileibe kein Mann, der nah am Wasser gebaut ist, doch nun hatten ihn die Emotionen überwältigt. Er erzählte, wie ihm schon auf den letzten 200, 300 Metern vor der Ziellinie die Tränen gekommen seien; wie wunderschön sie es im Team zusammen gehabt hätten. Er, der Flachländer aus Gossau im Kanton St. Gallen, sprach über seinen erfüllten Bubentraum, vom Unterwegssein mit den besten Kollegen, von seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Sie waren nach Norwegen gereist, um dabei
zu sein, wenn er sich verabschiedet vom zweitwichtigsten Teil seines Lebens, «Wer bin ich ohne Spitzensport?», fragte Ralph noch in die Kamera.

Ich bin wohl näher am Wasser gebaut als Ralph - und musste mich zusammenreissen, allein vor dem Laptop.

Ralph Weber hatte an den Junioren-Weltmeisterschaften 2012 Gold im Super-G und Silber in der Abfahrt gewonnen. 2013 und 2022 entschied er die Abfahrtswertung im Europacup für sich, sein Glanzlicht im Weltcup war der 10. Platz in der Lauberhornabfahrt 2020. Er hat nicht die Karriere gemacht, die sich ein Junioren-Weltmeister erhofft, auch wegen Verletzungen. Zuletzt kämpfte sich Ralph nach einem Bandscheibenvorfall in den Weltcup zurück, das «St. Galler Tagblatt» hatte im vergangenen Herbst die altbekannte Frage gestellt: «Wieso tut Ralph Weber sich das an?»

Wer sich auch fragt, warum sich Ralph Weber das «angetan» hat, diesen letzten grossen Kampf oder so viele Jahre zwischen Europacup und Weltcup, in der letztlich unerfüllten Hoffnung auf den grossen Durchbruch, soll dieses Interview schauen. Nach diesen fünfeinhalb Minuten müsste es für alle klar sein. Und sonst wüsste ich auch nicht mehr weiter.

Alles Gute, lieber Ralph! Und danke, dass du dich an deinem letzten Tag als Skirennfahrer von einer Seite zeigtest, die wir vorher nicht von dir gekannt hatten."

PHILIPP BÄRTSCH, Chefredaktor SnowActive

Erschienen im April 2024

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